Wein, Schweiss und Tränen auf Burg Radegg

Ein grandioses Spektakel hat die Genussregion Wilchingen-Osterfingen-Trasadingen den Besuchern des Freilichtspiels «S Kätterli vo Radegg» geboten. Claudia Gysel machte aus Otto Uehlingers Mundartfassung der Sage ein packendes Theaterstück.

von THEO KÜBLER

OSTERFINGEN. «Sie war das schönste junge Mädchen im ganzen Klettgau, mit wunderschönen blonden Haaren und strahlend blauen Augen. Die Wolken verzogen sich sofort, wenn sie in den Himmel schaute», schwärmt Köchin und Amme Gertrud (Yvonne Külling), die auf Drängen des Mädchens Reni (Alessia Schwyn) die Geschichte vom Kätterli von Radegg endlich richtig erzählt. «Es war vor 100 Jahren», beginnt sie. «Es war eine schwere Zeit damals. Mit dem Rittertum ging es zu Ende, und Ritter Diethelm wusste manchmal nicht, wie er seine grosse Familie mit seinen sieben Söhnen und all seinem Gesinde durchbringen konnte. Geld und Korn reichten bei Weitem nicht. Gewalt und Raub breiteten sich allmählich aus.»

Unter den Eichen neben der Burgruine richten Männer Brennholz für den Winter, Frauen waschen Kleider in hölzernen Zubern, eine andere reinigt Schafswolle, um diese später zu Faden spinnen zu können. «Gestorben sei sie, die gute Seele, bei der Geburt eines Töchterchens», wird unter den Männern gemunkelt. Eine laut weinende Frau eilt in die Szene. Sie tunkt ein blutgetränktes Laken in den Zuber bei den Waschweibern. «Da kam das Glück …», singt der Troubadour (Robert Meierhofer) und bringt die Sage dorthin, wo das Kätterli zu einer wunderschönen, überaus gutmütigen Maid herangewachsen war. Es war die Urgrossmutter von Amme Gertrud, die das Kätterli bis in diese Tage wohlbehütet hatte.

Ritterschmaus bei sengender Hitze

Unterdessen waltete Ritter Diethelm unter den Bauern rund um seine Burg immer gewalttätiger. «Mir hat er die Frucht gestohlen, und im Burgturm schmoren Gefangene während Monaten oder gar Jahren!», schimpfen die Bauern. Grauenhafte Schreie ertönen aus dem sich langsam verdunkelnden Wald.

«Dieser verdammte Dieb – angezündet gehört diese Saubrut!», ereifern sich die Bauern, und Widerstand keimt auf. In den Zuschauerreihen wird eifrig ausgeglichen, was die sengende Hitze den rund 200 Besuchern abverlangt. Der vor der Aufführung servierte Ritterschmaus dürfte inzwischen in Wein, Bier oder Mineralwasser ertrunken sein.

Da huscht doch unverhofft das Kätterli durch den Wald. Es pflegt nicht nur mit Leidenschaft den Garten seiner Mutter, es greift den Ärmsten in der Umgebung so gut es kann unter die Arme, gegen den Widerstand seiner verruchten sieben Brüder. Ein Bauer ruft: «Hört, der Ritter kommt!» Tatsächlich, ein Sportflugzeug dröhnt in tiefem Flug über den Rossbergwald, was lautes Gelächter auslöst.

Doch dann erscheint der Peiniger leibhaftig hoch zu Ross, es wird langsam brenzlig für den Burgherrn. Der entstehende Disput wird in einem filmreifen Akt in Szene gesetzt, was dem Publikum einen spontanen Applaus entlockt. Eines Tages läuft ein junger Ritter aus Italien den bösen sieben Brüdern in die Hände. Er landet ausgeraubt im Turm, wo er verharren muss, bis ein gefordertes Lösegeld eintrifft.

Das Kätterli ist bemüht, dem Edelmann die schwere Zeit etwas zu erleichtern. Nach vielen langen Monaten stimmt der Troubadour ein Lied an, das von Glück und Liebe erzählt. Trotz aller Liebe kommt es zum tränenvollen Abschied der beiden. Das Kätterli sieht seine Aufgabe bei den armen Menschen hier. Es weint ein ganzes Jahr, bis unverhofft ein Knappe herrlich duftende blaue Rosen aus Italien überbringt. Diese werden mit Gespött von den Brüdern zerzaust, und der Knappe flieht mit schlechter Nachricht zurück nach Italien.

Das Kätterli setzt das Pflänzlein an einen versteckten Ort, wo es bei ihm sitzend noch viele Tränen verliert. Aufgebrachte Männer mit Heugabeln, Prügeln, Sensen und Fackeln stürmen plötzlich mit lauten Drohgebärden über den Platz, hinüber zur Burg, die kurz darauf in Flammen aufgeht. Im Eifer vergessen sie, das Kätterli zu retten. Es schreit um Hilfe, doch es ist zu spät …

Sie sei zu Tränen gerührt gewesen, gesteht eine Zuschauerin, als eben der Vollmond über den Horizont steigt. Nicht zuletzt hat auch der wunderbare Rahmen zum grossartigen Erlebnis beigetragen, den die 25 Schauspieler, die Leute hinter den Kulissen und all die vielen anderen Mitwirkenden den Besuchern am Donnerstagabend geboten haben. Nicht ohne Grund sind auch die noch folgenden zwei Vorstellungen ausgebucht.

Dieser und jener mag beim Rückmarsch durch den Wald Ausschau nach dem Kätterli gehalten haben. Es wird nämlich erzählt, es sei schon einige Male gesehen worden …